Neue Revision des Kartellgesetzes ist unterwegs
Der Bundesrat hat am 24. November 2021 die Vernehmlassung zu einer weiteren Revision des Kartellgesetzes eröffnet. Nach der Verschärfung des Missbrauchsverbots will der Bundesrat nun die Fusionskontrolle reformieren. Die geplante Revision zielt zudem darauf ab, das Kartellzivilrecht zu stärken und sieht eine Klarstellung in Bezug auf unzulässige Wettbewerbsabreden sowie mehrere verfahrensrechtliche Änderungen vor. Die neuen Bestimmungen werden voraussichtlich nicht vor 2023/24 in Kraft treten.
Publiziert: 24 November 2021
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Publiziert: 24 November 2021 | ||
Autoren |
Marcel Meinhardt |
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Astrid Waser |
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Benoît Merkt |
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Expertise |
Competition and Regulated Markets |
Hintergrund
Nach der Verschärfung des Missbrauchsverbots, die am 1. Januar 2022 in Kraft treten wird, hat der Bundesrat weitere Änderungsvorschläge zum Kartellgesetz ("KG") in die Vernehmlassung geschickt (die "Vorlage"). Ziel der Vorlage ist es, die Schweizer Fusionskontrolle zu modernisieren, das Kartellzivilrecht zu stärken, die Auslegung von Hardcore-Abreden zu klären und das Verwaltungsverfahren zu verbessern.
Obwohl der Bundesrat und das Parlament die Vorlage nach der Vernehmlassung voraussichtlich noch abändern werden, sind folgende Revisionsvorschläge bereits heute erwähnenswert:
Fusionskontrolle
Neue Ausnahme von der Meldepflicht
Nach geltendem Recht müssen Unternehmenszusammenschlüsse, welche die Umsatzschwellen von Art. 9 Abs. 1 KG erreichen, bei der Schweizer Wettbewerbskommission ("WEKO") gemeldet werden. Grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse sind von dieser Meldepflicht nicht ausgenommen.
Der Bundesrat schlägt nun eine solche Ausnahme vor. Eine Meldepflicht soll nicht mehr bestehen, wenn zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sind:
- Erstens darf das Zusammenschlussvorhaben keinen Schweizer Fokus haben, d.h. alle vom Unternehmenszusammenschluss betroffenen Produktmärkte müssen räumlich die Schweiz und zumindest den EWR umfassen.
Wenn das Zusammenschlussvorhaben auch nur einen einzigen nationalen Schweizer Markt betrifft, bleibt die Meldepflicht bestehen.
- Zweitens muss das Zusammenschlussvorhaben von der EU-Kommission geprüft werden. Wird das Zusammenschlussvorhaben nicht bei der EU-Kommission gemeldet, gilt die Freistellung nicht. Dies selbst, wenn die relevanten Märkte räumlich
Zusammenfassend schlägt der Bundesrat die Einführung eines One-Stop-Shop-Prinzips für grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse vor, die keinen Schweizer Fokus haben und bei der EU-Kommission gemeldet werden.
Mit seinem Vorschlag will der Bundesrat Parallelverfahren der WEKO und EU-Kommission vermeiden.
Die Praktikabilität der vorgeschlagenen Regelung ist jedoch fraglich. Die WEKO nimmt in ihren Entscheiden oft keine abschliessende räumliche Marktabgrenzung vor. Es wäre daher näher zu klären, auf welcher Grundlage die relevante Marktabgrenzung erfolgen soll, die für die Beurteilung der Meldepflicht entscheidend ist.
Einführung des SIEC-Tests
Die Vorlage führt den Significant Impediment to Effective Competition-Test ("SIEC-Test") als anwendbaren Standard für die Fusionskontrolle ein. Unter geltendem Recht wendet die WEKO den Marktbeherrschungstest an. Unter diesem kann ein Zusammenschlussvorhaben nur dann untersagt (oder die Genehmigung von Bedingungen oder Auflagen abhängig gemacht) werden, wenn das Zusammenschlussvorhaben eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, die geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu beseitigen. Angesichts dieser sehr hohen Eingriffsschwelle hat die WEKO bis anhin nur drei Untersagungsentscheide getroffen.
Unter dem neuen SIEC-Test könnte die WEKO ein Zusammenschlussvorhaben dagegen untersagen (oder die Genehmigung von Bedingungen oder Auflagen abhängig machen), wenn die folgenden zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sind:
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Erstens muss das Zusammenschlussvorhaben den wirksamen Wettbewerb signifikant behindern, insbesondere indem es eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt.
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Zweitens darf das Zusammenschlussvorhaben keine von den meldenden Unternehmen nachgewiesenen Effizienzvorteile für die Nachfrager bewirken, die sich spezifisch aus dem Zusammenschluss ergeben und die Nachteile der signifikanten Behinderung des Wettbewerbs ausgleichen.
Die Übernahme des SIEC-Tests führt zu einer Harmonisierung mit der EU-Praxis. Der neue Prüfungsmassstab erlaubt es der WEKO zudem, unilaterale und koordinierte Effekte sowie Effizienzvorteile zu berücksichtigen.
Da der SIEC-Test keine drohende Wettbewerbsbeseitigung für eine Intervention der WEKO voraussetzt, würde er die heutige Eingriffsschwelle senken. Bei Einführung des SIEC-Tests erscheint es deshalb wahrscheinlich, dass die WEKO bei (inländischen) Zusammenschlussvorhaben häufiger eingreifen wird.
Stärkung des Kartellzivilrechts
Unter dem geltenden Recht ist der Kreis von Personen, die auf Grundlage einer Wettbewerbsbeschränkung zivilrechtliche Schadenersatzansprüche geltend machen können, sehr beschränkt. Entsprechend war das Kartellzivilrecht bis anhin kaum von Bedeutung. Die Vorlage sieht nun eine Ausweitung der zivilrechtlichen Rechtsbehelfe auf alle Personen vor, deren wirtschaftliche Interessen durch eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung bedroht oder verletzt werden. Das bedeutet, dass in Zukunft auch Konsumenten und die öffentliche Hand Schadenersatzforderungen einklagen können.
Um sicherzustellen, dass die Dauer der wettbewerbsrechtlichen Verwaltungsverfahren der zivilrechtlichen Durchsetzung von Ansprüchen nicht entgegensteht, wird die anwendbare Verjährungsfrist von drei Jahren für Forderungen aus unzulässiger Wettbewerbsbeschränkung ab der Einleitung einer WEKOUntersuchung bis zum Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung ausgesetzt.
Die Vorlage sieht sodann in einem weiteren Punkt eine Stärkung des Kartellzivilrechts vor: Sie will finanzielle Doppelbelastungen vermeiden und die freiwillige Entschädigung von Opfern wettbewerbswidriger Verhaltensweisen fördern. Deshalb sollen freiwillige Schadenersatz- und Genugtuungsleistungen sowie die freiwillige Herausgabe eines unrechtmässig erzielten Gewinns bei der Höhe der wettbewerbsrechtlichen Sanktion berücksichtigt werden. Mit diesem Revisionsvorschlag folgt der Bundesrat der jüngsten Praxis der WEKO.
Es ist zu erwarten, dass die Stärkung des Kartellzivilrechts in Zukunft zu mehr Schadenersatzforderung gegenüber Unternehmen führen wird. Aufgrund der Möglichkeit, eine Sanktionsreduktion bei freiwilligen Schadenersatzleistungen zu erwirken, haben aber auch Unternehmen einen Anreiz, sich mit Opfern wettbewerbswidriger Verhaltensweisen zu einigen.
Präzisierung bezüglich unzulässiger Wettbewerbsabreden
Die Vorlage sieht vor, dass die Wettbewerbsbehörden bei der Beurteilung, ob Wettbewerbsabreden den Wettbewerb erheblich beeinträchtigen und damit unzulässig sind, sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien berücksichtigen müssen. Diese vorgeschlagene Klarstellung ist eine Reaktion auf die kritisierte GABA-Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach bestimmte Hardcore-Abreden schon aufgrund ihres Zwecks eine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung darstellen und bei deren Beurteilung deshalb keine quantitativen Auswirkungen wie Marktanteile berücksichtigt werden müssen.
Obwohl die Vorlage nun darauf abzielt, diese Rechtsprechung zu modifizieren und wieder eine Auswirkungskontrolle einzuführen, bleibt unklar, ob dadurch Hardcore-Abreden mit unbedeutenden Auswirkungen auf den Wettbewerb tatsächlich wieder zulässig wären.
Verfahrensrechtliche Änderungen
Für das Verwaltungsverfahren sieht die Vorlage die folgenden Änderungen vor:
- Ordnungsfristen: Um das Verwaltungsverfahren zu beschleunigen, werden in der Vorlage sowohl für die Wettbewerbsbehörden als auch für die Gerichte bestimmte Ordnungsfristen vorgeschlagen. Diese Fristen sind lediglich Richtwerte und nicht durchsetzbar. Sollte die Behörde nicht in der Lage sein, sie einzuhalten, muss sie den Parteien die Gründe dafür erläutern.
Die Einführung von Ordnungsfristen ist angesichts der bis anhin langen Verfahrensdauer vor den Wettbewerbsbehörden und Gerichten zu begrüssen. Es gilt allerdings anzumerken, dass im Kartellverfahren bereits heute das Beschleunigungsgebot gilt.
- Widerspruchsverfahren: Die Vorlage zielt darauf ab, das Widerspruchsverfahren zu verbessern. Dieses ermöglicht es Unternehmen, der WEKO geplante Verhaltensweisen und Vereinbarungen vor deren Umsetzung zu melden und so Sanktionen zu vermeiden. Mit den vorgeschlagenen Änderungen will der Bundesrat das heute kaum genutzte Widerspruchsverfahren attraktiver machen.
Es bleibt abzuwarten, ob die vorgeschlagene Neuerung zu einer vermehrten Anwendung des Widerspruchsverfahrens führen wird.
- Parteientschädigung: Der Bundesrat schlägt die Einführung einer Parteientschädigung für das Verfahren vor den Wettbewerbsbehörden vor. Wird eine Untersuchung ganz oder teilweise eingestellt, soll neu eine Parteientschädigung zugesprochen werden können. Bislang kann eine Parteientschädigung nur vor den Schweizer Gerichten gewährt werden.
Die Einführung einer Parteientschädigung ist zu begrüssen. Kartellrechtliche Verfahren sind äusserst komplex und können mehrere Jahre dauern. Erweisen sich die Verdachtsmomente gegen ein Unternehmen als unbegründet, ist dieses für seine Aufwendungen finanziell zu entschädigen.
Ausblick
Interessierte Kreise können sich bis zum 11. März 2022 zur Vorlage äussern. Nach Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse wird der Bundesrat dann die Eckwerte des neuen Gesetzesentwurfs festlegen, bevor dieser im Parlament behandelt wird. Das Inkrafttreten der finalen neuen Bestimmungen wird nicht vor 2023/24 erwartet.
Für weitere Fragen zu diesem Thema stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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