Bundesgericht reduziert Anwendungsbereich des Agenturprivilegs
Das Bundesgericht veröffentlichte betreffend den Buchmarktfall das Urteil zu Les Editions Flammarion SA. Darin schliesst es die Anwendung des Agenturprivilegs auf Exklusivitätsklauseln, die den Schweizer Markt abschotten, aus.
Publiziert: 16 Mai 2022
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Publiziert: 16 Mai 2022 | ||
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Competition and Regulated Markets |
Untersuchung des Marktes für französischsprachige Bücher
Im Rahmen einer von der Wettbewerbskommission ("Weko") im Jahr 2007 eröffneten Untersuchung wurde Les Editions Flammarion SA ("Flammarion") im Jahr 2013 zusammen mit 12 anderen Grosshändlern sanktioniert. Die Weko hielt fest, dass die Art der Geschäftsbeziehung zwischen Flammarion und seinem Vertragspartner im Rahmen der Vermarktung französischsprachiger Bücher auf dem Schweizer Markt als sanktionsbehaftete Wettbewerbsabrede und nicht als Agenturvertrag zu qualifizieren sei. Das wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Oktober 2019 bestätigt.
Das Bundesgericht veröffentlichte am 31. März 2022 sein Urteil (2C_44/2020). Darin bestätigte es die gegen Flammarion verhängte Sanktion wegen Behinderung von Parallelimporten nach Art. 5 Abs. 4 KG.
Qualifikation als Agenturvertrag oder Wettbewerbsabrede nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 KG
In der Beschwerde stützte sich Flammarion insbesondere auf die europäischen Leitlinien für vertikale Beschränkungen (2010/C 130/01). Danach sind Beschränkungen hinsichtlich des Gebiets, der Kundengruppe, des Preises oder der Bedingungen, zu denen der Handelsvertreter die betreffenden Waren oder Dienstleistungen verkaufen kann, im Falle eines Handelsvertreters von Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln ausgenommen. Dieses "Handelsvertreterprivileg" wird von der Weko analog zum europäischen Recht ins schweizerische Recht als sog. "Agenturprivileg" übernommen. Die Beziehung zwischen Flammarion und seinem Agenten stellt daher nach Ansicht von Flammarion keine Wettbewerbsabrede im Sinne von Art. 4 Abs. 1 KG dar.
Zunächst fasst das Bundesgericht die Merkmale der geschäftlichen Beziehung zwischen Flammarion und seinem Vertragspartner zusammen. In fine anerkennt es, dass es Elemente gibt, die für eine Qualifizierung als Agenturvertrag sprechen. Es bestätigt insbesondere, dass der Agent niemals Eigentümer der von Flammarion vertriebenen Bücher wurde und nicht das kommerzielle Risiko trug. Das Bundesgericht äussert sich jedoch nicht abschliessend zur Qualifikation der Geschäftsbeziehung. Dies ist gemäss Bundesgericht nicht erforderlich, um auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens zu schliessen.
Agenturprivileg gilt nicht für Exklusivitätsklauseln, die den Schweizer Markt abschotten
Anders als das Bundesverwaltungsgericht und die Weko vertritt das Bundesgericht die Ansicht, dass Beschränkungen in Bezug auf Gebiete, Kundengruppen oder Preise in Handelsvertreterverträgen zwar grundsätzlich von den europäischen Wettbewerbsregeln ausgenommen sind, die Qualifikation eines Vertrags als Handelsvertretervertrag im europäischen Recht aber keinen vollständigen Blankoscheck darstelle. Dabei stützt es sich insbesondere auf zwei europäische Entscheidungen zur Anwendung der Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Urteil C-279/06 vom 11. September 2008, CEPSA Estaciones de Servicio SA gegen LV Tobar e Hijos SL, Slg. 2008 I-6681 und Urteil C-217/05 vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio gegen Compañia de Petróleos, Slg. 2006 I-11987). Das Bundesgericht scheint zwar zunächst anzuerkennen, dass das Agenturprivileg in der Schweiz gilt, stellt aber schliesslich klar, dass die vertraglichen Bestimmungen in einem Agenturvertrag dennoch den Wettbewerbsregeln entsprechen müssen, z.B. in Bezug auf Exklusivitätsklauseln und Markenzwang.
Da das Bundesgericht der Ansicht ist, dass eine marktabschottende Exklusivitätsregelung in keinem Fall vom Agenturprivileg profitieren kann, ist es nicht erforderlich, zu bestimmen, ob der Vertrag als Agenturvertrag qualifiziert.
Nach Ansicht des Bundesgerichts auferlegt die im vorliegenden Fall strittige Exklusivitätsregelung dem Agenten zwar keine Pflichten, gestaltet aber die Geschäftsbeziehung der beiden Unternehmen, indem sie die Modalitäten festlegt, unter denen die Flammarion-Gruppe die von ihr verlegten und/oder vertriebenen Werke in der Schweiz verkauft. Sie beeinflusst somit die Beschaffungskanäle für bestimmte französischsprachige Bücher und schottet den Markt ab.
Das Bundesgericht bestätigt die Rechtswidrigkeit der von Flammarion eingeführten Exklusivitätsklausel.
Schlussfolgerung
Im Gegensatz zur bisherigen Praxis der Weko können Agenturverhältnisse den gleichen kartellrechtlichen Regeln wie andere Vertragsverhältnisse unterstehen. Dies betrifft insbesondere Exklusivitätsklauseln und Markenzwänge.
Es haben sieben weitere Grosshändler Beschwerde gegen die Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts ans Bundesgericht erhoben. Nach dem bereits Anfang des Jahres veröffentlichten Urteil über den Grosshändler Dargaud (Suisse) SA werden noch sechs weitere Urteile erwartet.
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